Im Fasching war's vor vielen Jahren...
So beginnt die Erzählung "Wie mir die Lust zum Tanzen" verging von Johann Peter aus dem Jahr 1903 über die erste Tanzerfahrung eines elfjährigen Buben, der seinen ersten Tanz am Busen einer "vierzigjährigen alten Jungfer" erlebt.
Ich bin ein großer Fan von biografischen Heimat-Geschichten und alter Sprache.
Schon als Kind habe ich beim Schlafengehen mit der Taschenlampe unter der Decke Ludwig Thoma`s "Lausbubengeschichten" verschlungen.
Johann Peter´s Erzählung hat mich in diese Zeit zurückversetzt und mich herrlich amüsiert.
Eine herzliche Vater-Sohn Beziehung, schwarze Pädagogik vom Feinsten und ein Umgang mit Frauen, der in Erinnerung ruft, dass wir Alice Schwarzer sehr dankbar sein dürfen😉
wie mir die lust zum tanzen verging
Gekürzte Fassung "Eine Faschingserinnerung" von Johann Peter 1903
(...) Und so saß ich – an einem Faschingssonntag – wieder am Tische und setzte zu einzelnen Tanzstücken die fehlenden Violastimmen, weil ich mit Leidenschaft die Bratsche spielte, die man früher im Walddorfe gar nicht kannte.
Liebmütterchen selig saß auf der Ofenbank und verrichtete im Himmelschlüssel ihre »Meßandacht«, weil sie des furchtbaren Schneegestöbers wegen nicht in die eine gute Wegstunde entfernte Kirche gehen konnte, während der gleichfalls schon verklärte Vater mit dem Waschen, Ölen und Beledern der Flöten und Clarinetten beschäftigt war.
Denn in meinem Vaterhaus hatte Frau Musika ihr Daheim aufgeschlagen und seinen Bewohnern schöne, freudenreiche Stunden bereitet. Da polterte es draußen im Vorhause. (...)
Ein Bote war's vom Wirte des benachbarten Ortes Finsterau in Baiern, und ein »G'spiel« – eine Tanzmusik – hatte er anzusagen. (...) Mein Vater vernahm die Botschaft mit sichtlichem Wohlgefallen, denn den lustigen Baiernburschen spielte er allzeit gerne zum Tanze auf: Sie waren gute Zahler und gemütliche Kerle. Freilich waren sie auch leidenschaftliche und wilde Raufer; oft ging bei so einem »G'raff« auch eine Geige in Trümmer, (...)
Und so sagte der Vater mit Freuden zu. (...) Schnell wurden nun die einzelnen Spielleute von dem bevorstehenden »G'spiel« verständigt. Alle vernahmen sie die Freudenbotschaft mit Wohlgefallen, selbst der achtzigjährige »Hansei-Vatter«, der zeitlebens niemals krank war und demnach auch niemals ein »G'spiel« versäumte, eilte mit seinem »B-Clarinettl« herbei, und der Bombardn-Michl, der allzeit durstige Spielmann, machte schon im Geiste die kühne Berechnung, wie sein heutiger Rausch ausfallen werde. (...)
Ich, ein Knirps, etwas größer als meine Bratsche, knöpfte mein leichtes Zeugröckchen bis an den Hals zu, setzte die Pudelhaube mit den »ausgepolsterten Ohrwascheln« auf den zottigen Kopf und preßte mein geliebtes Instrument an meine linke Seite.
»Loß den Buam heut' dahoam«, sprach die Mutter; »der bleibt Enk jo im Schnee stecka!«
»Do is koa G'foahr«, meinte der Vater gutmütig lächelnd, denn er hielt was auf mich, und ich durfte auf keinem »G'spiel« fehlen. »Wir gengan voraus und moch'n den Weg, und er zappelt hint'n drein.«
In der Wirtsstube dampfte und qualmte es ganz entsetzlich. Die derben, massigen Buchentische waren dicht besetzt, und auf dem riesigen Herde glühten die Platten und sott und brodelte und schmorte es ganz lustig. Zuvorkommend wurden wir mit »Kudelsuppe«, »saurem G'schling« und Kalbsbraten – echt baierischen Wirtshausgerichten – bewirtet, und das schwarzbraune Bier mit dem rosigen Schaume floß nur so in den steinernen Maßkrügen. (...)
Endlich war das Stärkungswerk vollbracht, und nun ging es hinauf in den geräumigen Tanzboden, wo in einem Winkel das Orchester für die Spielleute wie eine Olymp thronte. Rasch hatte ich die Winkelecke okkupiert, um im Falle einer Rauferei ziemlich weitab von Schuß und Wurf zu sein. (...)
Bald huben die Geigen und Flöten an zu klingen und zu singen, das Blech schmetterte lustig drein, und des Basses Gerumpel mischte sich gewaltig in das Strampfen und Jauchzen der Reigenden. Und je lustiger die Musik erklang, desto heißer wurde das Drehen und Schleifen der Tänzer, und die Röcke der rotwangigen Mädchen flogen und flatterten wie die Fahnen im Winde.
So dauerte es fort bis gegen 4 Uhr. Längst schon hatte der kleine Spielmann die Aufmerksamkeit der lebenslustigen Burschen erregt, bis sich endlich der als »eiskalter« Raufer weit und breit berühmte und auch gefürchtete »Bart'n-Max« mit einem vollen Maßkruge dem Orchester näherte und mich anrief:
»He, Du Bürschl, konnst a wos?«
Ein jäher Schreck fuhr in meine Glieder, denn der Bart'n-Max hatte sich herabgelassen, mich seiner Aufmerksamkeit zu würdigen, und das wollte schon etwas heißen, denn wenn dieser den Mund auftat, dann schwiegen die stämmigsten, untersetztesten Burschen, weil sie wußten, daß der nicht viel Spaß versteht.
Ehrfurchtsvoll bejahte ich seine Frage.
»Kreuzsakradie«, schrie er jetzt, daß ich zu zittern begann, »so nimm Dei' Fiedl und fiedl' mir schnell wos auf, oba gonz alloa! Wird Da guat zoit, wenn'st Dei' Sach guat mochst! Konnst oba nix, donn hau' i Dia 'n Schädl ein und Dei' Fiedl hot ausg'wins'lt für immer! Mirk Da's, Bürschl!«
Das klang gar furchtbar gewaltig in meine Ohren. (...) Mit schlotternden Knien betrat ich die Mitte des Tanzbodens und setzte den Bogen an. »Loß' losgeh'n!« kommandierte der Gewalthaber.
Und nun gab ich mein erstes Konzert zum Besten, wobei sich der Maxl wie ein Kreisel drehte und so derb mit den Füßen stampfte, daß der Boden erzitterte, indessen ich von allen Seiten mit wohlgefälligen Blicken betrachtet wurde. Als ich meine Sache zur allgemeinen Zufriedenheit beendet hatte, griff der Maxl in die Tasche und reichte mir einen – Silbertaler!
»Brav host g'fiedelt, Bürschl«, lobte er, »aus Dir wird a rechta Spielmonn! Hiatzt trink amal!«
Mit freudestrahlenden Augen griff ich nach dem Maßkruge und machte einen beherzten Zug daraus.(...)
Nun kamen auch andere Burschen und verlangten von mir einzelne »Stückl«. (...) meine Taschen füllten sich mit glänzenden Geldstücken, und mein Mut und Selbstbewußtsein wuchs und schwoll in dem Maße, daß ich tatsächlich der Meinung ward, hier auch eine wichtige Person zu sein.
Mit besonderer Freude gewahrte ich die blitzenden und funkelnden Augen der schönen Walddiandln, die alle bewunderungsvoll auf mir ruhten, und in meinem Bubenherzen regte sich etwas wie – Liebe, und sie gefielen mir alle gar gewaltig, diese kugelrunden, daseinsfreudigen Dingerchen. (...)
Und wie sich die reigenden und jauchzenden Paare so radschnell vor meinen Augen drehten und mir die ganze Welt und das schöne, herrgottentsprossene Leben ein ewiger Faschingstag zu sein schien, wie ich die hochroten, wonneglühenden Wangen der lust- und liebeschäumenden Dirndln sah, um deren schlanke Nacken sich sehnige Burschenarme legten, da kam es mir selbst so siedend heiß in die Füße, daß ich am allerliebsten meine Bratsche mit so einer lebenden Dirne vertauscht und mich mit derselben im schwebenden Rhythmus der Musi gewiegt hätte...
Doch Scham und – Feigheit hinderten mich an der Verwirklichung meiner Gelüste. Was dann, wenn mir so ein Wettermädl verachtend einen Korb geben oder mich gar auslachen würde? Dieser Gedanke war zu entsetzlich – und doch, und doch! Das erhitzte Blut gab nicht nach, mich gelüstete es ganz gewaltig und unwiderstehlich nach einem Tänzchen, und da gab's kein Halten und Bemeistern mehr!
Versuchst es einmal – dachte ich – mit einer Alten, die im Winkel unbeachtet steht und ebenso nach einem Hopser schmachtet wie du selbst! ... Und da hielt mein Auge auch schon strenge Musterung unter der ziemlich stattlichen Schar der sogenannten »Stehengebliebenen«.
Eine vierzigjährige alte Jungfer war es aus meinem Heimatdörfchen, welche die Sehnsucht nach einem Tänzchen trotz des Hundewetters hierhergelockt. Ein Gesicht hatte sie wie ein verdorrter Hasenbalg, und den Hals zierte ein dermaßen schwerer Kropf, daß derselbe mit jedem Augenblicke loszureißen oder zu zerplatzen drohte. Verlassen stand sie in einem Winkel und folgte mit schmachtenden Blicken den Dahinfliegenden, und keiner erbarmte sich ihrer, keinem gelüstete es nach dieser Rose. »Uilei-Resei« ward sie genannt und arm war sie wie eine Kirchenmaus. Sie erkor ich zu meiner ersten Tänzerin!
Endlich stand ich vor ihr. Gerade bis an den Busen hinauf reichte ich ihr; dabei hatte sie einen derartigen Körperumfang, daß mein dürres Leiblein wohl dreimal darin Platz gefunden hätte. (...)
»Resei«, flüsterte ich sie an, »magst tanz'n mit mir?«

»Ui Jegerl, Du bist's? Na, geh nur her, i lern Dia's schon, 's Tonz'n!«
Mein Gesicht strahlte auf diese menschenfreundliche Antwort wie Feuersglut, und auch ihr Antlitz umschwebte etwas wie Verklärung, weil sich ihr nun unerwarteterweise doch auch eine, wenn auch nicht besonders zusagende Gelegenheit bot, sich wenigstens einige Male im stürmischen Takte der Musik zu bewegen.
Beherzt griff ich zu und begann sofort an Ort und Stelle mit beiden Füßen zugleich zu hüpfen und zu springen.
»So net, so net, loß' da Zeit, Bua! Du springst jo wie-r-a Goasbock! Auf alle zwoa Füaß hupft ma jo net!« ermahnte das Resei, und dabei umfaßte sie mich mit ihren prügeldicken Armen und stürmte mit mir wie ein Raubvogel mit einem erhaschten Spätzlein mitten ins Tanzgewühl.
Von allen Seiten gab's Püffe, Stöße und Fußtritte, daß mir Hören und Sehen verging; doch das Resei geriet vor Tanzwut ganz außer Rand und Band, sie hielt mich in ihren Händen wie einen Hampelmann und drehte mich nach allen Seiten hin und her wie ein Ringelspiel, halb trug sie mich, halb schob sie mich, dann hob sie mich wieder bis zu ihrer Kropfkugel empor und flüsterte mir glückselig ins Ohr: »Schmeckt's Dia?« und fort raste sie wieder mit mir wie der Teufel mit einer armen Seele. Ihr Gesicht schwamm dabei in einem förmlichen Schweißmeere, und der Kropf keuchte, stöhnte und rasselte wie eine Dampfmaschine, so daß mir heimlich bange wurde.
Da ging plötzlich die Tür auf, und ein hochgewachsener Herr mit schwarzem Vollbarte und goldener Brille wurde an der Schwelle sichtbar. Augenblicklich schwieg die Musik, und die Tänzer öffneten respektvoll eine Gasse. Ich drückte mich mit dem Resei in eine Ecke und erwartete begierig die Fortsetzung des Tanzes. Doch gewahrte ich, wie sich einzelne Mädchen im Alter von vierzehn bis sechzehn Jahren, die noch die Sonntagsschule zu besuchen, also noch kein Recht auf den Tanzboden zu gehen hatten, so schnell als möglich zu verbergen suchten – und das schien mir bedenklich, denn auch in meiner Gehirnkammer dämmerte etwas wie Schuldbewußtsein auf. (...)
Das rabenschwarze Ende mit erhobenen Zeigefinger kannst du in der vollständigen Fassung bei Projekt Gutenberg-DE nachlesen.
Auf in den Faschingstanz,
dreh dich wie ein Kreisel,
stampf auf den Tanzboden, dass es nur so kracht und
schnapp dir die Burschen an die Brust, dass ihnen schwindlig wird🤣😁
Bei meinem Musiktipp des Tages brauchst auch keine Maß Bier dazu, da läuft alles wie geschmiert von selbst:
Henning Wehland- Tanz` um dein Leben
Herzlichst,

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